Wenn ein Mensch mit Demenz am Blinddarm operiert wird, ist die Versorgung eine Herausforderung. Das gilt ebenso, wenn Patienten mit geistiger oder körperlicher Behinderung aufwändige Untersuchungen oder Eingriffe benötigen. Die Evangelische Stiftung Volmarstein macht sich auf den Weg, Menschen mit Behinderung eine qualitativ deutlich verbesserte medizinische Versorgung anzubieten.
Dafür hat sie im Evangelischen Krankenhaus Hagen Haspe zwei neue Säulen errichtet: die Klinik für Inklusive Medizin zur stationären Behandlung von Chefarzt Dr. Jörg Stockmann und das ambulante Medizinische Zentrum für die Behandlung erwachsener Menschen mit Behinderung (MZEB) von Dr. Martin Kuthe.
Viele Spezialisten und unterschiedliche Berufsgruppen der Stiftung werden künftig am Krankenhaus in Hagen-Haspe mit ihrer Expertise eine Versorgung aus einer Hand anbieten – und das für Menschen mit Behinderung jeden Alters. „Mit diesem neuen, in der Region einmaligen Angebot stellen wir uns auf die individuellen Bedürfnisse von Patienten mit geistigen und körperlichen Einschränkungen ein“, betont Stiftungs-Vorstand Markus Bachmann. Damit bekommt das Hasper Krankenhaus ein Alleinstellungsmerkmal: Denn nur wenige deutsche Krankenhäuser halten spezialisierte Strukturen für die akutmedizinische Behandlung von Menschen mit Behinderung bereit. Zur Medizin für Menschen mit Behinderung gehört in der Stiftung auch die Abteilung von Chefarzt Dr. Benedikt Leidinger. Bereits seit vielen Jahren bietet er mit seinem Team in der Orthopädischen Klinik Volmarstein ambulante und stationäre Behandlungsmöglichkeiten für Kinder mit Behinderung.
"Wir müssen uns mehr Zeit nehmen!"
Chefarzt Dr. Jörg Stockmann (Foto) im Gespräch.
Redaktion: Warum baut die Stiftung dieses besondere Angebot auf?
Professor Stockmann: Der Artikel 25 der UN-Behindertenrechtskonvention fordert, dass Menschen mit Behinderung eine Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite und von derselben Qualität zur Verfügung haben sollen wie andere Menschen. Bei der Umsetzung dieses Anspruchs liegt Deutschland weit zurück. Die Stiftung nimmt nun gemäß ihrem Leitbild diesen Auftrag der UN ernst und bündelt vielfältige Fachkompetenz.
Was ist nötig, um Patienten mit Behinderung bestmöglich zu versorgen?
Gleichwertige Versorgung von Menschen mit Einschränkungen gelingt nur, wenn besondere Anstrengungen unternommen werden. Das bedeutet zunächst, dass wir uns mehr Zeit nehmen müssen, um die komplexen Probleme zu verstehen. Wir brauchen mehr Fachexpertise, barrierefreie Räumlichkeiten und mehr technische Unterstützung. Darüber hinaus müssen diagnostische Prozesse und Therapien auf die oft individuellen Bedürfnisse der Patienten abgestimmt werden.
Können Sie konkrete Beispiele nennen?
Einen Patienten, der eine starke körperliche Behinderung hat, kann man nicht wie gewöhnlich auf dem OP-Tisch lagern. Ein Mensch mit geistiger Behinderung, der nicht kooperieren kann, benötigt manchmal eine Sedierung und natürlich besondere Überwachung vor und nach dem Eingriff. Für Patienten mit Autismus-Spektrum-Störung sind stationäre Behandlungen oft nur im Einzelzimmer möglich. Man sieht – das ist alles sehr individuell.
Wie passt das alles in ein klassisches Krankenhaus?
Kliniken sind in der Regel auf Hochgeschwindigkeit ausgerichtet. In der Behindertenmedizin benötigt dagegen Vieles mehr Zeit. Damit die Behandlung für alle Patienten gelingt, arbeiten wir in Haspe eng mit allen Fachabteilungen zusammen. So haben wir bereits in den ersten Wochen viele Patienten gemeinsam behandelt. Mit den Kardiologen haben wir uns um einen Patienten mit Luftnot gekümmert, die Kollegen der Bauchchirurgie haben eine behinderte Patientin extremem Übergewicht behandelt, in der Gastroenterologie wurde gemeinsam mit den Kollegen eine Ernährungssonde gewechselt. Auch eine komplizierte Wundversorgung nach Hüftoperation gelang gemeinsam mit den Unfallchirurgen dank der guten Zusammenarbeit.
Gibt es weitere Kooperationspartner?
Innerhalb der Stiftung Volmarstein arbeiten wir vor allem mit der Behindertenmedizin, dem Therapiezentrum, dem Heilpädagogischen Zentrum, der Behindertenmedizin und der Kinderorthopädie zusammen. Darüber hinaus möchten wir auch nach außen ein dichtes Netzwerk entwickeln. Dazu gehören natürlich die Hausärztinnen und -ärzte, zum Beispiel niedergelassenen Fachärzte aber auch die Kliniken der Umgebung, Sozialeinrichtungen oder Selbsthilfegruppen. Auch mit den Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben NRW sind wir im Austausch. Ich bin sicher, dass wir gemeinsam die medizinische Behandlung von Menschen mit Behinderung hier in der Region wesentlich verbessern werden.
(Nachdruck aus "Volmarsteiner Gruß", Ausgabe 1-2019, Fotos: Ev. Stiftung Volmarstein, www.esv.de)
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